Stille Rebellion
Hierarchiepyramide oder Ameisenhaufen?
Über das Missverständnis der Fehlerkultur
Ich erlebe immer wieder, wie Verantwortliche in Unternehmen Lean und Agile synonym verwenden und beide Begriffe dann auch noch unter der Formel »Fail fast, Fail often« zusammenfassen. Das ist fatal: Mangelnde Begriffsdefinition und Buzzword Bingo sind eine Gefahr für Organisationen. Denn sie führen zu falschen Annahmen und irreführenden Debatten bzw. Aktivitäten.
Äpfel und Birnen
Wer Lean und Agile in einen Topf wirft, vergleicht Äpfel mit Birnen. Lean bezieht sich auf schlanke Prozesse innerhalb einer Organisation. Hier geht es darum, Verschwendung von Ressourcen zu vermeiden, Prozesse möglichst zu standardisieren und so weit zu versimpeln, dass nur noch diejenigen Elemente übrig bleiben, die für die Wertschöpfung bedeutend sind. Lean entstand im produzierenden Gewerbe im wirtschaftlich geschundenen Japan nach dem zweiten Weltkrieg – also aus der Not heraus, Ressourcen möglichst schonend einzusetzen und nichts zu verpulvern.
Agile hat seine Wurzeln in der Softwareentwicklung aus den USA der 80er Jahre. Hier geht es um die Fähigkeit, während eines Entwicklungszyklus flexibel auf veränderte Kundenanforderungen zu reagieren – ohne wieder bei null anzufangen. Der agile Prozess ist eine Antwort auf lineare Planungsprozesse in der Softwareentwicklung, die bei veränderten Kundenwünschen oftmals hohe Kosten und Frustration verursachten.
Struktur folgt Strategie
Gemeinsam haben beide Ansätze, dass der Kunde im Fokus steht, in iterativen Schritten gehandelt wird, Mitarbeiter eine hohe Gestaltungsfreiheit haben, Mittel effizient eingesetzt werden und beide Ansätze messbar sind. Doch je nach Unternehmensstrategie ist mal der eine, mal der andere Ansatz geeigneter:
Ist die Unternehmensstrategie auf Kostenvorteile im Markt ausgelegt, wäre Lean der passende Ansatz. Die Vermeidung von Ressourcenverschwendung führt zu geringeren Kosten und ermöglicht es, Produkte zu einem niedrigeren Preis anzubieten. Zielt die Strategie darauf ab, Kunden besser zu verstehen und Kundengruppen zu differenzieren, ist Agile der passende Ansatz. Hier können Unternehmen den Markt iterativ analysieren und immer wieder flexibel auf Änderungen reagieren.
Die Gefahr der Verwechslung
Was passiert nun, wenn ein Verantwortlicher im Unternehmen sagt: »Wir sind nicht lean genug, müssen agiler werden. Uns fehlt eine Fehlerkultur nach dem Leitsatz ‚Fail fast, Fail often‘«? Es entsteht ein Mitarbeiter-Chaos. Denn: Die Zusammenfassung von Lean und Agile in dem Schlachtruf »Schnell und oft scheitern« schafft keine gesunde Fehlerkultur. Sie schafft eine Kultur, in der Mitarbeiter kopflos von einem vermeintlichen Ziel zum nächsten rennen, statt sich ruhig, intelligent und reflektierend heranzutasten. Aus einer Lernkurve wird eine Fehlerrampe. Verantwortliche sollten sich vom Buzzword Bingo verabschieden. Denn mal ganz ehrlich: Niemand will scheitern und daraus lernen. Erfolg ist dann doch eine deutlich befriedigendere Form des Lernens. Oder?!