Wie Dirigenten auf dem Drahtseil
Change und Transformation – Ein Paar Schuhe?
Heute führte ich ein langes und intensives Gespräch mit Marie Jerusalem, ehemalige CHRO Beraterin bei VISTRA, über Wandel und Führung, Piraten, Überlastung und die Wichtigkeit klarer Kommunikation im Transformationsprozess.
F: Inwieweit sind Sie am Wandel von VISTRA involviert?
Das Unternehmen unterzieht sich derzeit einer globalen Transformation, bei der jeder einzelne Aspekt unseres Geschäfts einem Wandel unterzogen wird. Ziel ist es, sowohl die Effizienz als auch die Produktivität zu steigern, vom Back Office bis zum Vertrieb. Zugleich wollen wir unseren Klienten einen umfassenderen Service bieten.
F: Wie würden Sie die Reaktion der Beteiligten auf diesen Änderungsprozess beschreiben?
Wir bedienen uns da der Analogie mit einem Schiff und seiner Besatzung. Etwa 20-30 Prozent der Beteiligten sind sogenannte „Kapitäne“. Diese Mitarbeiter sind hochmotiviert und brennen darauf, den Wandel voranzutreiben. Es ist sehr wichtig, dass sie die entsprechende Unterstützung und Anerkennung erhalten. Der Großteil der Belegschaft, etwa 60 Prozent, lässt sich als „Crew“ bezeichnen. Sie sind noch unschlüssig, was sie von unserem Vorhaben halten sollen. Wir müssen sie mit an Bord nehmen und dafür sorgen, dass sie aktiv werden.
Die restlichen 10-20 Prozent sind die sogenannten „Piraten“ und Mitarbeiter, die den geplanten Wandel als nicht notwendig ansehen und ihn deshalb ablehnen. Sie können die ganze Sache zum Kippen bringen, wenn wir nicht aufpassen. Sie hängen dem alten Stil, den alten Strukturen und wie die Dinge bislang erledigt werden, nach. Manchmal sind sogar Gallionsfiguren darunter, die die Macht besitzen, andere zu beeinflussen.
F: Werden Sie auch extern unterstützt?
Wir haben eine bekannte Unternehmensberatung damit beauftragt, unser Transformationsprojekt zu begleiten. Wir begannen mit einem kurzen Strategieprojekt, das etwa sechs Wochen gedauert hat. Im Anschluss daran ging es vor allem darum, dass sie uns ins Sachen PMO (Project Management Office, also das Projektmanagementbüro) beraten und uns in der Umsetzungsphase bewährte Praktiken aufzeigen.
F: Sie sprachen davon, wie schwierig es ist, gleichzeitig den Wandel voranzutreiben und auch das Tagesgeschäft zu bewältigen …
Nachhaltiger Wandel muss in den normalen Geschäftsalltag integriert werden, da die Mitarbeiter weder die Zeit noch die Kapazität haben zusätzliche Projekte zu bearbeiten. Einen externen Berater an der Seite zu haben, der die wichtigsten Bereiche festlegt, in denen ein Wandel unumgänglich ist und der dann das Projektmanagement übernimmt – das hat für uns einen Riesenunterschied gemacht.
F: Ist hier ein radikal anderer Ansatz erforderlich?
Weniger flexible Unternehmen werden nicht überleben. Die Zukunft gehört agilen, vernetzten Unternehmen, die sich konstantem Wandel anpassen können und weiter wachsen. Erfolgreicher Wandel ist die richtige Mischung aus Einstellung, Verhalten, klarer Verantwortung, neuen Prozessen und Effizienz.
F: Wie wichtig ist Führung beim Wandel und für den Wandel?
Wenn man bei einem geplanten Wandel nicht über die richtige Führung verfügt, dann war es das mit dem Wandel! Wandel steht und fällt mit der Unternehmensführung. Führungskräfte sind dafür verantwortlich, was im Unternehmen geschieht und was nicht. Man muss mit allen Interessenvertretern in persönlichen Dialog treten, da jeder einzelne Beitrag zählt. Es geht nicht um „Änderungsmanagement“ – es geht um Führung. Die Mitarbeiter legen sich nur dann ins Zeug, wenn sie der Unternehmensführung vertrauen und an sie glauben.
F: Braucht es einen bestimmten Führungsstil?
Voraussetzungen für ein gutes Änderungsmanagement sind eine hohe emotionale Intelligenz, Intuition, Lernbereitschaft und eine rasche Auffassungsgabe. Außerdem ist es wichtig, in einen konstanten Dialog mit dem Personal in Schlüsselfunktionen zu treten: Wie geht es Ihnen? Wie fühlt es sich an? Was denken Sie darüber? Inwieweit wirkt sich das auf Ihr Leben aus? Noch ein letzter Kommentar: Scheuen Sie nicht davor zurück, auch mal die Pferde zu wechseln, wenn es sein muss.
F: Auf welche Hindernisse sind Sie gestoßen? Gab es Widerstand in den eigenen Reihen?
Es mag komisch klingen, aber auch Mitarbeiter sind in erster Linie Menschen und müssen entsprechend behandelt werden. Wir unterschätzen, dass auch Manager Angst haben, ihren Job zu verlieren. Deshalb ziehen sie sich zurück oder senden widersprüchliche Botschaften. Es ist ganz wichtig, Manager auf potentielle psychologische Reaktionen der Belegschaft, aber auch auf ihre eigenen vorzubereiten, zu denen es während des Wandels kommen kann. Wenn nicht, stehen sie unter Dauerstress und können nicht zuhören, nichts aufnehmen und auch nicht klar denken.
F: Wie leitet man ein solches Projekt am besten?
Gleich am Anfang muss die Strategie des Änderungsmanagements klar kommuniziert werden. Außerdem muss jeder die Erwartungen kennen. Die Kommunikation ist das A und O. Sie sollte oft und auf unterschiedlichen Kanälen erfolgen, zum Beispiel über einen Newsletter, das Intranet, in Arbeitskreisen und regelmäßigen Besprechungen. Außerdem braucht es eindeutige Kontrollpunkte und Leistungskontrollen. Dafür müssen die richtigen Leute in den richtigen Positionen sitzen. Die einzelnen Rollen können sich im Laufe des Projekts ändern. Man muss dafür sorgen, dass jeder weiß, warum dieses Projekt umgesetzt wird und dass alle Botschaften gleichbleibend auf allen Ebenen des Unternehmens vermittelt werden.
F: Was haben Sie über Wandel gelernt?
Für mich ist der kritischste Aspekt von Wandel, dass Führungskräfte unbedingt wissen müssen, weshalb und wie er ablaufen soll und was die Erfolgskriterien sind. Ein transparenter Dialog ist unumgänglich, damit jeder weiß, wie die Dinge wöchentlich und monatlich gehandhabt werden.
Man muss auch die Einstellungen und das Verhalten managen. Prozesse und Besprechungen müssen effizient sein. Die Rückkopplung ist essentiell. Man sollte auf schlechte Leistungen achten und entsprechend darauf reagieren. Tadelloses Verhalten sollte anerkannt und belohnt werden. Noch etwas: Vor der Umsetzung muss die Projektorganisation abgeschlossen sein. Dabei kann ein externes, objektives PMO, das direkt der Unternehmensspitze berichtet, extrem hilfreich sein. Alle Aspekte des Wandels müssen überwacht und kommuniziert werden.
Über …
Vistra beschäftigt 3.500 Mitarbeiter und bietet in 44 Ländern maßgeschneiderte Dienste aus den Bereichen Asset Management- sowie Fonds- und Vermögensverwaltungen an. Das Unternehmen entwickelt fundierte Lösungen für die oft komplexen Anforderungen ihrer Klienten.
In ihrer Rolle gab Marie Jerusalem die Richtung des globalen Wandels bei VISTRA vor und war für das Management der gesamten Belegschaft zuständig. Sie war dem CEO unterstellt und verantwortlich für die gesamte strategische Führung der Mitarbeiter. Zu ihren Aufgaben zählten auch die Arbeitgebermarkenbildung, der externe Markenauftritt, HR-Kennzahlen von Schlüsselgruppen, das unternehmensweite Leistungsmanagement, die HR-Strategie, Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie der Vergütungsplan. Zudem war sie für das Management des Geschäftszweiges HR Business Partner und Shared Services zuständig.