Kulturwandel: Königsdisziplin der Transformation?
Lernkurve oder Fehlerrampe
Wie reagieren, wenn das Führungsteam im Transformations-Kick-Off unerwartet meutert? Ein Industriedienstleister mit über 1000 Mitarbeitern stand vor einem umfangreichen Transformationsprozess. Ich hatte das Unternehmen bis dato zwei Jahre lang in Projekten begleitet. Für die Planung und Vorbereitung des Transformationsprozesses unterstützte ich das interne Change-Team als Berater und Coach. Um die Führungsmannschaft abzuholen, auf den Wandel einzustimmen und zu motivieren, konzipierten wir einen zweitägigen Führungskräfte-Workshop. Es ging auch darum, ein neues Verständnis der Kultur und des Miteinanders zu kommunizieren, anzuregen und dann später im Transformationsprozess anzuwenden.
Die Vorplanung dafür dauerte vier Monate – persönliche Gespräche, strukturierte Befragungen und Feedback-Runden im Team. Wir loteten genau aus, wie viel Freiraum wir im Workshop geben müssen und wo die Leitplanken zu setzen sind, um nicht von der Vision und der Mission abzukommen. Anfangs wollte der Geschäftsführer nur das Kernteam im Workshop haben: zehn Leute. Die Geschäftsleitung, das Change-Team und sechs Bereichsleiter. Ich riet ihm dazu, das gesamte Führungsteam, 30 Leute, einzubinden. Nur mit der obersten Reihe anzufangen, wäre ein falsches Signal gewesen. Es hieß zwar, nur das Kernteam stehe dem Wandel positiv gegenüber und der Rest neutral oder negativ. Aber Widerstände kennt jeder Transformationsmanager. Im Workshop sollte es ja darum gehen, die gesamte Führungsmannschaft abzuholen und aktivieren.
Sich unbeliebt machen
Als externer Unterstützer in Sachen Transformationsmanagement, ist es neben der methodischen Kompetenz vor allen das infrage Stellen und »Stören« bestehender Haltungen und Systematiken. Nur wenn entrümpelt und Platz geschaffen wird, kann sich Neues verankern. Dies bleibt nicht ohne Reaktion, gelebte Konfliktfähigkeit ist also ein Muss in nachhaltigen Veränderungsprozessen. Dabei sind nicht die Konflikte das eigentliche Problem, sondern die Einstellung der Beteiligten zu selbigen.
Plötzlich kracht es
Im Workshop schlug uns nach einiger Zeit unvermittelt Gegenwind entgegen. »Wir wollen Blut sehen« und »diesen Tag hätten wir uns sparen können« sind O-Töne aus dem ersten Tag. Meine Frage, warum das erst am Ende des ersten Workshop-Tages angesprochen wurde, blieb unbeantwortet. Es war nicht ganz klar, was die Leute genau wollten. Sie wollte es nur anders.
Wo es Reibung gibt, entsteht Energie. Die Aufgabe besteht darin, diese Energie zu nutzen. Gemeinsam mit der Geschäftsführung und dem Change-Team analysierten wir das Geschehene am Abend. Für den Folgetag improvisierten wir und gestalteten u.a. einen »heißen Stuhl«, um kritische Themen auf den Tisch zu bringen.
Lernen
Konflikte, wie der Geschilderte, bieten ein großartiges Potential zum Lernen und besser-machen. Gemeinsam mit Thomas Kuhlow (rechts im Bild), dem Leiter Kommunikation des Kundenunternehmens, bin ich zum ISB Pionierlabor eingeladen worden. In dem Praktiker-Forum ging es darum, systemische Konzepte im Alltag sichtbar werden zu lassen, an der Praxis zu lernen und gemeinsam weiter zu entwickeln.
Ein lebhafter und fruchtbarer Austausch für alle Beteiligten. Geäußerte Arbeitshypothesen der Beraterkollegen waren u.a. der Aspekt der »pragmatischen Ungeduld« auf Seiten der Führungskräfte, aber auch die einer »Pseudo-Beteiligung«. Beides nicht untypisch für die chaotische Phase des Wandels. Mit Blick auf die Geschehnisse bei Führungskräfteworkshop kamen Anmerkungen wie »Moderatoren als Blitzableiter« und »Wir schlagen den Berater und meinen den Change«. Persönlich werde ich in Zukunft noch mehr auf eine agil-resiliente Workshop-Gestaltung achten, um der möglichen Dynamik der Geschehnisse auch bei größeren Gruppen Rechnung tragen zu können.
Dialog! Immer!
Transparente Kommunikation und offener Dialog ist der wichtigste Erfolgsfaktor, ja der Grundstein jeder Transformation. Und zwar nicht nur positive Kommunikation, sondern auch und vor allem negative. Konflikte entstehen eigentlich immer. Nur müssen sie offen ausgetragen werden, mit voller Transparenz und all seinen Konsequenzen. Ansonsten scheitert die Transformation. Wer nicht bereit ist und nicht den Mut aufbringt, mit offenem Visier Probleme anzusprechen und auszudiskutieren, geht im Transformationsprozess baden. Wer stumm bleibt und Kritik so lange anstaut, bis er platzt, schadet dem gesamten Veränderungsvorhaben.
In Summe die Quintessenz: Widerständen muss man begegnen und sie offenen Diskutieren, um gemeinsam UND gestärkt daraus hervorzutreten.
Jeder, der glaubt, eine Transformation ist eine seichte Sache, sollte sich jetzt mit diesem Gedanken verabschieden. Eine Transformation ist nicht sanft. Sie ist holprig, mühsam und schmerzhaft. Müsste ich es in einem Begriff zusammenfassen, dann wäre dies »Leidenschaft«.