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Wie nützlich ist Brainstorming in kritischen Veränderungsphasen?
Wir alle kennen Brainstorming, diese alte Methode der Ideenfindung, bei der eine Gruppe von Menschen gemeinsam eine möglichst große Anzahl an Ansätzen sammelt – ganz gleich wie sinnvoll oder unsinnig sie sind. Kritik ist in der Phase des Brainstormings nicht erlaubt, da sie die Teilnahme der Einzelnen hemmt – so die Theorie des Erfinders. Brainstorming ist auch heute noch eine beliebte Methode, obwohl ihre Wirkung schon 1958 widerlegt wurde. Zuerst mit einem Experiment an der Yale University und später mit zahlreichen weiteren Studien. Das Ergebnis all dieser Experimente zusammengefasst: Selbstständig und allein arbeitende Menschen kommen in der Regel zu doppelt so vielen Lösungsansätzen, wie eine kritiklose Brainstorming-Gruppe. Meine Frage an Sie: Welchen Stellenwert messen Sie Brainstorming und Kreativität in Ihrer Arbeit bei – vor allem in der aktuellen Corona-Krise?
Kreativität lebt von Kritik
Die Wurzel des Problems liegt beim Brainstorming eher in der Kritiklosigkeit, als in der Gruppenarbeit per se. So haben weitere Studien ergeben, dass eine Brainstorming-Gruppe, in der Ideen direkt kritisiert und diskutiert werden dürfen, die kreativsten Lösungen entwickelt. Tatsächlich müssen Verantwortliche in Kreativ- und erst recht in Veränderungsphasen die interne Konfliktkultur stärken. Wer Lösungen entwickeln will, darf nicht auf den Wohlfühlfaktor in der Gruppe setzen. Allein mit Harmonie entstehen bestimmt keine kreativen Ansätze. Klar, auf Basis von respektvollem Disput wird die Gruppenarbeit weniger angenehm sein, aber dafür wesentlich produktiver. Wo es Reibung gibt, entsteht Wärme – also Energie.
Zur Verteidigung der Brainstorming-Methode: All die erwähnten Studien beziehen sich lediglich auf die erste Phase des Brainstormings – der quantitativen Ideensammlung. Damit ist das Brainstorming aber noch nicht vorbei. In der zweiten Phase geht es nämlich ganz klar darum, die gesammelten Ideen zu validieren und zu sortieren. Und nun entstehen auch konstruktive Kritik und Diskussionen über Sinnhaftigkeit, Umsetzbarkeit und Wirtschaftlichkeit der Ideen. Oder anders ausgedrückt: Hier zeigt sich die Qualität der gesammelten Ansätze. Betrachten wir Brainstorming also ganzheitlich, kann es durchaus zielführend sein.
Auf das Team kommt es an
Allerdings ist das lose Philosophieren über Methoden nutzlos, wenn wir sie isoliert betrachten. Methoden sind von und für Menschen gemacht, also müssen wir diese auch in unsere Betrachtung einbeziehen. Die Zusammenstellung der Gruppe ist in Kreativ- und Veränderungsphasen nämlich von großer Bedeutung. Homogene Teams erarbeiten einheitliche Lösungen. Vielfältige Teams, so eine McKinsey-Studie, blicken aus unterschiedlichsten Perspektiven auf das Problem – und können so vielfältigere Lösungen erarbeiten. Wie wäre es, wenn wir uns von der Silo-Denke verabschieden und stattdessen vermehrt multidisziplinäre Teams im Unternehmen aufstellen?
Creativity is not the domain of one single person. Through free-association of thoughts and brainstorming, an accidental suggestion can be the best solution.
Joschua Fernandez, Filmemacher
Raum kreativer Entfaltung
Gehen wir noch einen Schritt weiter und beziehen die räumliche Ebene in unsere Betrachtungen ein. Der malaysische Filmemacher Joschua Fernandez, ein großer Freund kreativer Zusammenarbeit, sagte einmal: »Creativity is not the domain of one single person. Through free-association of thoughts and brainstorming, an accidental suggestion can be the best solution«. Die Betonung liegt hier auf accidental suggestions, den zufälligen Vorschlägen. Denn: Zufällige Vorschläge können wir im Unternehmen zu einem gewissen Grad steuern, indem wir mehr Raum für zufällige Begegnungen und spontanen Austausch schaffen. Und das geht auch digital aus dem Home-Office heraus, wie uns die Pandemie derzeit lehrt. Wer die intrinsische Motivation seiner Leute fördert, kann auch im virtuellen Raum für zufällige Begegnungen sorgen. Zum Beispiel mit internen digitalen Think Tanks interdisziplinärer Teams, deren Mitglieder regelmäßig wechseln.
Jemand, der wie besessen an die Kraft des Raums glaubte, war Steve Jobs. Während seiner Zeit bei Pixar ließ Jobs den neuen Hauptsitz der Firma um ein zentrales Atrium herumbauen. Warum? Weil Jobs wollte, dass sich die unterschiedlichen Pixar-Mitarbeiter begegnen: Autoren, Künstler, Grafiker und Informatiker. Jobs verlegte Kaffeeküchen, Briefkästen und Konferenzräume in das Atrium, um die zufälligen Begegnungen zu erwirken. Mitarbeiter erinnerten sich später, dass sie anfangs darüber gelacht hätten. Dann fanden es viele nervig und chaotisch, aber irgendwann – ganz plötzlich – spürten sie: Die Begegnungen mit Kollegen aus anderen Abteilungen bereicherte den kreativen Prozess aller Mitarbeiter (mehr dazu können Sie in der Jobs-Biografie von Walter Isaacson lesen).
Mut zum Chaos
Was sagt uns das? Meine Erfahrung hat mich gelehrt: Es lohnt sich vor allem in Veränderungssituationen, Altes hinter sich zu lassen und eine neue Haltung einzunehmen. Wir gelangen nur zu Neuem, wenn wir unsere Sensorik offener ausrichten, mehr Fragen stellen, mehr zulassen, weniger bewerten – und Mut zum Chaos aufbringen. Das erfordert eine Eigenschaft, die viele Verantwortliche an ihre Grenzen bringt: Loslassen können und Unsicherheiten akzeptieren. Wecken Sie die Kreativität Ihrer Leute, indem Sie einen respektvollen Konfliktdialog im Team etablieren, den kritischen Dialog fördern und den kulturellen Kontext dabei nicht aus den Augen verlieren: westliche Business-Kulturen haben einen anderen Bezug zu Kritik, als beispielsweise asiatische. Sehen Sie sich als Facilitator, der die kritische Dialogfähigkeit incentiviert und das Team im kreativen Prozess begleitet und moderiert. Räume können diesen Prozess fördern Der Professor und Buchautor Jan Teunen sagt, Büros sollten zu „Gewächshäusern der Kreativität“ werden.
Räume müssen keinen festen Strukturen folgen – sie können organisch, also veränderbar, angelegt sein. So entsteht ein kreatives Chaos, das herausfordernd ist. Doch das ist wichtig, denn: Chaos lässt uns nicht in die gemütliche Blase namens Komfortzone zurücklehnen, sondern fordert und animiert uns, andere Denkwege einzuschlagen. Chaos erfordert Moderation. Vor allem im unternehmerischen Kontext muss es eine Vision geben, die alle Beteiligten anstreben und mittragen. Als Moderator treiben Sie Ideen mit an und stecken die Leitplanken ab, innerhalb derer sich das Team frei bewegen darf. Ohne Moderation verlieren sich Teams oftmals in Disputen und Stagnation. Gruppendynamik ist in der Regel kein Selbstläufer. Doch wer die Disziplin zum Chaos hat, kann den kreativen Prozess in Veränderungssituationen ankurbeln – und aus einem bewusst ungeordneten Zustand einen neuen geordneten Zustand gestalten.
Let’s walk the Talk
Ich würde nicht über respektvollen Konfliktdialog schreiben, wenn ich ihn nicht selbst suchte – mit Ihnen: Was ist Ihre Erfahrung? Wie gehen Sie in Ihrem Unternehmen mit kreativen Findungsprozessen um? Spielt Diversität und Raumgestaltung dabei eine Rolle für Sie? Ich freue mich auf Ihre Einblicke.